Gastbeitrag: Kinder als Sprachwunder: Das beeindruckende sowie komplexe Phänomen des Spracherwerbs

Liebe Lesenden,

stellt euch mal eine Welt ohne die moderne Sprache vor. Die Kommunikation mit der Sprache ist für die Menschen so wichtig, dass sie mit 23 Millionen Wörtern allein im Deutschen einen extremen Komplexitätsgrad erreicht. Doch wie ist es für kleine Kinder möglich, sich diese Sprache in jungen Jahren so anzueignen? Nun, es gibt einige Theorien und Beobachtungen…

Zunächst lassen sich die Stufen des Spracherwerbs definieren. Erste Geräusche mache ein Baby nach ca. zwei Monaten, so Fenja Mens, Autorin des Buches ,,Das A und O des neuen Lebens“. Ab dem sechsten Monat beginne dann die Lallphase, wo das Kind dann mehrere Silbenketten bilde, in etwa „Dada“ oder „Gaga“. „Ab etwa dem zwölften Monat folgen die ersten so genannten Protowörter (z.B. „Wauwau“)“, so Mens weiter. Zu Beginn können diese Protowörter nur kontextbezogen angewendet werden, es gibt nur einen Ball der Balla heißt zum Beispiel. Es kann aber auch zur Überspezifizierung kommen. Also jeder Mann ist Papa und jede Frau ist Mama.

Darauf folgend ließe sich ab circa anderthalb Jahren eine regelrechte Wortschatz-Explosion beobachten. Erste grammatikalische Regeln wie der Plural werden eingesetzt und verwendet, längere Sätze werden gebildet und Adjektive werden benutzt. So käme es zu Zweiwortsätzen wie „Tür auf?“. Es kommen auch erste Fragen zustande.

Mit drei Jahren setze das zweite Fragealter ein, hier würden Fragen gestellt werden wie „warum?“ oder wieso?“. Nach vier Jahren der kindlichen Entwicklung kann das Kind die Grundregeln der Grammatik. Der Spracherwerb ist danach in einem stetigen Wachstum des Wortschatzes zu finden. Begriffe werden auch mit anderen Begriffen im Gehirn verknüpft, um sie miteinander assoziieren zu können, etwa „Frosch = Tier, quakt, eklig“.

Mit sechs Jahren kann das Kind dann Wörter in Silben zerlegen und dementsprechend auch reimen, womit der Grundstein für die Fähigkeit des Lesens und Schreibens gelegt wäre.


Nun sind uns also die groben Schritte des Spracherwerbs beim Kind bekannt, doch wie genau arbeitet unser Gehirn, um diese Mengen an Begriffen und abstrakten Regeln auf einmal aufzufassen?

Zu Beginn steht ein Gedanke, den wir teilen möchten. Dieser einfache Gedanke setzt eine Kaskade von Prozessen in Gang. Zunächst müssen die passenden Wörter ausfindig gemacht werden, gefolgt von der präzisen Planung, um jedes Wort an der richtigen Position im Satz zu platzieren. Anschließend werden die Laute gesucht, in die korrekte Reihenfolge gebracht und die Muskelbewegungen initiiert, die für das Sprechen notwendig sind.

Doch das ist nur ein Teil des Ganzen – die Satzmelodie, Betonung und Lautstärke erfordern ebenso sorgfältige Vorüberlegungen. Erst dann kann der Satz schließlich ausgesprochen werden. Dieses einfache Bild zeichnet nur grob den Weg nach, den unser Gehirn bei der Sprachproduktion zurücklegt. In Wirklichkeit sind die Prozesse noch viel komplexer. Während all diese Schritte durchlaufen werden, muss gleichzeitig der rote Faden des Gedankengangs bewahrt werden, um nahtlos weitere Sätze folgen zu lassen. Eine enorm Gedächtnisleistung ist vonnöten, um die ausgewählten Wörter, ihre Reihenfolge und die Lautfolge im Gedächtnis zu behalten, bis der gesamte Satz geformt ist.

Kurz gesagt, die Sprachentwicklung besteht aus zwei miteinander verflochteten Strängen: der Entwicklung der Sprache selbst und der Entwicklung der Artikulation. Während die Artikulation sich auf die physischen Aspekte der Lautbildung konzentriert, dreht sich die Sprachentwicklung um die komplexen Vorgänge im Gehirn – das Verstehen von Sprache, das Speichern und Abrufen des Wortschatzes und die Beherrschung grammatischer Fertigkeiten.


Ein sehr komplexes Thema also, doch offen ist noch die Frage der Nachahmung. Oft wird gemutmaßt, dass durch die Nachahmung der Sprache durch Laute aktiv gelernt wird. Es lässt sich beobachten, dass Eltern ihren Kindern oft Wörter vorsagen, um sie dann von Ihnen wiederholen zu lassen. Doch inwiefern ist dies tatsächlich fördernd?

„Nachahmung (das Nachsprechen des Vorgesagten) spielt beim Spracherwerb nur eine sehr untergeordnete Rolle.“, sagt Dieter E. Zimmer, deutscher Journalist, Übersetzer und Autor des Buches „Wie kommt der Mensch zur Sprache?“. Sie würden vielmehr bekannte Wörter nachahmen als durch das Nachsprechen neue Wörter und deren Aussprache richtig zu lernen. Beispiel hierfür seien taube Kinder, die, ohne je ein Wort gehört zu haben anfangen, Laute zu erzeugen. Die Sprache oder die Fähigkeit, gewisse Laute zu machen käme also aus dem Gehirn.


Für den genauen Erwerb der Sprache ist also nicht nur das Lernen der Wörter notwendig, sondern vielmehr das Lernen bestimmter Regeln, da es fast unmöglich ist in so kurzer so viele Wörter auswendig zu lernen.

Zimmer spricht hier von drei Phasen: Induktion, Generalisierung und Erprobung. Induktion hieße, dass das Kind zunächst aus der Sprache, die es hört, nicht nur Wörter, sondern auch grammatische Regelmäßigkeiten erkennt. In der Generalisierung dehnt es diese Regeln auf alle ähnlichen Fälle aus und entwickelt Hypothesen. In der Erprobung schließlich werden diese Hypothesen getestet, indem das Kind Sätze gemäß den vermuteten Regeln bildet.


Der Spracherwerb ist also deutlich komplexer als bloße Imitation und bereits in die Wiege gelegten Fähigkeiten. Und doch haben wir alle diesen Lernprozess erlebt. Es muss noch viel in diesem Gebie geforscht werden, aber es erscheint offensichtlich, dass die Kinder „Tricks“ benutzen, um sich die Sprache besser anzueignen, gerade weil diese durch die Komplexität nach der akustischen Wortbildung immer noch eine Menge an logischen Sätzen durch die Grammatik erfordert. Es ist aber auch bemerkenswert mit welchem Interesse Kinder an den Spracherwerb herangehen, was den Stellenwert der korrekten Kommunikation mit unserer Sprache in der Gesellschaft heutzutage nochmals unterstreicht.


Maximilian Bohlscheid (Q2)

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